War ’ne geile Zeit – Minou Tikrani über Karriereziele im Wandel der Zeit

Karriere – was ist das?

Magazin veröffentlicht im Mai 2016

Das HSBA Magazin ist das offizielle Magazin der Hamburg School of Business Administration und erscheint zweimal pro Jahr. Es enthält Geschichten und Wissenswertes rund um die HSBA und die Hamburger Wirtschaft.

Position, Geld, Macht, Bekanntheit, Ansehen, Erfüllung – wohin führt und wie verläuft heute eine Karriere? Minou Tikrani, Absolventin der Wirtschaftsakademie Hamburg, Vorstandsmitglied der HSBA Alumni Association und geschäftsführende Gesellschafterin der Agentur Konstruktiv PR GmbH hat sich auf die Suche nach der Antwort gemacht.
Der Ursprung des Begriffs Karriere ist der Weg, im engeren Sinn der berufliche Weg. Karriere beschreibt ausschließlich die professionelle Entwicklung unseres Lebens, also den Teil, mit dem wir unser Geld verdienen. Reich durch ein ererbtes Vermögen geworden zu sein, ist demnach nicht die Folge einer Karriere. Karriere ist ein Prozess, der an einem Ort beginnt an einem anderen endet. In meiner Generation (Jahrgang 1959) hatte es zwischen Anfang und Ende möglichst linear aufwärts zu gehen, am besten in einer Organisation. Wer Karriere gemacht hat, hatte einen beruflichen Weg hinter sich, der zu einer angesehenen Position geführt hat: Hohes Einkommen, viel Verantwortung, schneller Aufstieg verbunden mit wenig Freizeit und langen Arbeitszeiten. Die Voraussetzungen waren klar definiert: eine gute Ausbildung, Fleiß, Pünktlichkeit, Können, Beziehungen. Der Beginn einer Karriere lag häufig schon im Elternhaus, durch das auch oft unsere Vision des Ziels beeinflusst war. Doch was, wenn das Ziel erreicht ist? Ist es das dann gewesen mit dem beruflichen Weg? Geht es dann nur noch geradeaus oder gar bergab? Ist diese traditionelle Vorstellung einer Karriere heute noch ein Idealmodell? Ist Karriere im klassischen Sinn noch erstrebenswert? Wie reagieren Unternehmen auf veränderte Karrierevorstellungen der Mitarbeiter?
Fragen über Fragen und genausviele Antworten. Was aktuelle Studien belegen, haben wir uns alle schon gedacht: Den einen, idealen Weg zu beruflichem Erfolg gibt es nicht mehr – vielleicht gab es ihn noch nie. Wie eine Karriere verläuft, hängt von sehr individuellen Faktoren ab, vor allem davon, wie jeder beruflichen Erfolg für sich definiert. Für die Eine kann es eine Expertenpositionierung sein, also die Stellung als gefragte Ratgeberin, deren Meinung wichtig ist. Mit einer derartigen Positionierung sind nicht zwangsläufig auch Personal- und Budgetverantwortung verbunden. Ein Anderer findet die berufliche Erfüllung in einer verantwortungsvollen Führungsaufgabe mit vielen Untergebenen und einem respektablen Firmenwagen – unabhängig von Branche und Aufgabe. Wieder Andere finden Befriedigung in der Ausübung einer ganz bestimmten Aufgabe in einem genau definierten Bereich – völlig unabhängig von Gehalt und Ansehen.
Dr. Kerstin Geisler, Standortleiterin München der pme Familienservice GmbH, identifizierte in ihrer Dissertation vier Karrieretypen. Der klassische Typ hat den Wunsch nach hohem Einkommen und Prestige und eine extrinsische Motivation. Er ist sehr auf die Außenwirkung seiner Karriere bedacht: Was denken die anderen? Der Sicherheitstyp strebt nach Stabilität und Kontinuität und hat eine starke extraprofessionelle Motivation, dass heißt, er engagiert sich stark in Bereichen, die nichts mit seinem Beruf zu tun haben. Für den sozialen Karrieretyp stehen seine Beziehungen zu anderen Menschen, vorwiegend Kollegen und Vorgesetzte im Vordergrund. Ein neuer Karrieretyp strebt nach Abwechslung, Autonomie und Selbstverwirklichung. Seine Motivation ist primär intrinsisch, sein Antrieb ist die Erfüllung seiner eigenen Ansprüche und Erwartungen.
Laut Manager-Barometer 2015/2016 der Personalberatung Odgers Berndtson möchte nur die Hälfte der Führungskräfte stetig weiter aufsteigen. Die meisten sind mit ihrer derzeitigen Hierarchieebene zufrieden, weil Ihnen das Arbeiten in der jetzigen Position große Freude macht. Persönliche Stärken und Begabungen einsetzen zu können, sei für die Befragten, so die Studie, immer häufiger der Antrieb, einen Job auszuüben. Am stärksten wächst die Rolle der Arbeitsinhalte bei der Karriereplanung. Die Freude an Führungsausgaben nimmt dagegen weiterhin ab. Völlig unbedeutend sind nach dieser Umfrage finanzielle Anreize und Status. „Zeit für sich, Zeit für die Familie sowie Zeit, sich gesellschaftlich zu engagieren, fehlt offensichtlich der Mehrheit der Manager, sagt Gabriele Stahl, Partnerin bei Odgers Berndtson.
Professor Markus Reitzig, Lehrstuhl für Strategisches Management an der Universität Wien ist der Auffassung, „dass auch altbackene Anreize wieder an Wichtigkeit gewinnen“, wenn die Kinder groß werden, die Wohnung und das Auto mitwachsen und die Endlichkeit der eigenen Arbeitskraft fühlbar wird. Er stellt in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin brand eins vom Februar 2016 fest, dass diese Bedürfnisse zukünftig auch außerhalb der traditionellen Organisationen befriedigt werden können.
Wie Karrieren verlaufen können und wohin sie im Einzelfall führen, erzählen 4775 Menschen auf der Berufsorientierungsplattform whatchado.com. Die Frage, wie werde ich CEO beantwortet watchado sehr klassisch: „Um erfolgreich an der Spitze eines Unternehmens zu stehen, brauchst du … Fleiß und Engagement …, dabei sind Schul- und Studienerfolge der richtige Anfang. Nebenbei solltest du dich auch bei Events und öffentlichen Veranstaltungen engagieren, um Kontakte zu anderen Managern und nach Möglichkeit auch in die Politik zu knüpfen…. Flexibilität und eine starke Persönlichkeit sind die nächsten beiden wichtigen Punkte. Man sollte immer offen für Neues und mit den aktuellen Trends und Technologien vertraut sein. Darüber hinaus ist Durchsetzungsvermögen entscheidend….“ Der Lebenslauf des CEO von watchado, Ali Mahlodji, sieht etwas anders aus: Flüchtling, Schulabbrecher, Putzhilfe, Manager, Gründer, Geschäftsführer, EU Jugendbotschafter und seit 2015 auch EU Ambassador for the New Narrative. Es geht also auch anders.
„Vorgegebene Laufbahnwege sind für mich passé“, sagt Ralf Biele, Senior Director der Personal- und Managementberatung Mercuri Urval in einen Interview mit brand eins. Sie würden voraussetzen, dass sich Geschäftsmodelle nicht ändern. In einer Zeit disruptiver Geschäftsmodelle, in deren Sog sich traditionelle Organisationen auflösen und ganze Berufsfelder völlig an Bedeutung verlieren, kann jedoch jeder Karriereschritt in eine Sackgasse führen. Biele: „Karriere ist eine Bewegung entlang der Hierarchien. Die persönliche Entwicklung ist ein Gegenentwurf: Selber wachsen, statt nur höher zu klettern.“ Sein Vorschlag: „Ein Unternehmen legt keine Goldfischteiche mehr an, sondern versteht sich als eine auf Individuen und künftige Themen zugeschnittene Persönlichkeitsentwicklungsorganisation. Das Personalberatungsunternehmen Kienbaum hat zum Beispiel Karriereparkplätze geschaffen. Fabian Kienbaum: „Wir fassen den Abstieg nicht mehr als Degradierung auf. Für wen der Aufstieg aktuell nichts ist, dem ermöglichen wir zum Beispiel Fachkarrieren.“ Das bestätigt auch Gabriele Stahl: „Unternehmen müssen sich mit flexibleren Arbeitsbedingungen und mit dem Angebot von individuellen Karrierepfaden auf diese Entwicklungen besser einstellen.“
Bei der HSBA ist die Karriere integraler Bestandteil des Studiums. „Da ein Studienvertrag mit einem Unternehmen Zulassungsvoraussetzung für das Bachelor-Studium ist, können die Studierenden schon früh Netzwerke knüpfen, wenden die erlernten Kenntnisse in der Praxis gleich an und können daher schon früh gemeinsam mit dem Arbeitgeber den geeigneten Arbeitsplatz identifizieren“, sagt Alexander Freier, HSBA-Alumnus und Head of Relationship Management bei der HSBA. Nahezu 100 Prozent der Absolventen würden ein Stellenangebot ihres Unternehmens erhalten – und damit beginnt eine Karriere.
Langfristige Planungen seien sowieso unmöglich, meint Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts. Der Welt am Sonntag (6.12.15) sagte er: „Ich glaube, dass die Haltung zum Leben viel wichtiger ist, als einen großen Plan zu haben. Es gibt so viele Zufälle im Leben und wer meint, dass Erfolg planbar ist, der irrt.“ Viele erfolgreiche Menschen würden zwar gern erzählen, dass ihr Erfolg das Resultat ihrer Anstrengungen und ihres Talents sei. Die allermeisten würden jedoch unterschätzen, wie viel Zufall und Glück notwendig sind. Völpel: „Wer erfolgreich ist, hat sicherlich nicht viel Pech gehabt.“
Lebensläufe werden in Zukunft nicht immer geradlinig sein sondern auch mal Umwege, Abzweigungen und Lücken aufweisen. Wenn im Lebenslauf als eine Zeit nicht mit sinnvollen Tätigkeiten hinterlegt ist, könnte die Bemerkung dazu auch mal lauten: „War ‘ne geile Zeit.“